„Intersektionalität kann uns helfen, bessere Verbündete füreinander zu werden.“ (Kimberlé Crenshaw)

Entstehungsgeschichte

Das Konzept wurde Ende der 1980er Jahre von der Schwarzen US-amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw geprägt. In ihrer intersektionalen Analyse des Antidiskriminierungsrechts bezog sie sich häufig auf den Rechtsstreit DeGraffenreid vs. General Motors aus dem Jahr 1976, in dem fünf Schwarze Frauen argumentierten, dass Sie aufgrund diskriminierender Einstellungspraxen überproportional häufig von Kündigungen nach dem Prinzip „last hired, first fired“ betroffen waren. Denn Schwarze Frauen wurden erst sehr spät eingestellt, weshalb sie vermehrt zu denjenigen gehörten, denen betrieblich bedingt gekündigt wurde. Allerdings betrachtete das Gericht die Vorwürfe der rassistischen sowie der sexistischen Diskriminierung separat und kam zu dem Schluss, dass für beide Anschuldigungen Gegenbeweise vorlägen – schließlich würden im Unternehmen sowohl (männliche) Afroamerikaner am Fließband als auch (weiße) Frauen als Sekretärinnen arbeiten. Das Gericht erkannte also das spezifische Zusammenwirken von Rassismus und Sexismus nicht an und wies in der Folge die Klage ab.

Bereits vor Crenshaws Konzept der „Intersektionalität“ hatten vor allem Frauen immer wieder auf die Verflechtungen von Unterdrückungsverhältnissen hingewiesen. So kann etwa auch Clara Zetkins Kritik an der bürgerlichen Frauenbewegung der 1920er Jahre, der zufolge der Zusammenhang zwischen Geschlecht und Klasse ausgeblendet würde, als eine intersektionale Analyse verstanden werden. Und nicht nur in der US-amerikanischen Frauenbewegung, sondern auch in der BRD der 1980er Jahre wurde die sogenannte „zweite Welle“ des Feminismus von migrantischen sowie Schwarzen deutschen Feminist*innen für ihren Fokus auf Anliegen weißer Frauen kritisiert.

Bedeutung

Die US-amerikansiche Juristin Kimberlé Crenshaw, die den Begriff „intersectionality“ prägte, übernahm ihn aus dem alltäglichen Sprachgebrauch, nämlich aus dem Straßenverkehr. Intersection heißt Kreuzung, Überschneidung, Schnittpunkt. Und das war auch die Metapher, das Bild, das sie nutzte, um etwas sehr Komplexes möglichst einfach zu erklären:

„Nehmen wir als Beispiel eine Straßenkreuzung, an der der Verkehr aus allen vier Richtungen kommt. Wie dieser Verkehr kann auch Diskriminierung in mehreren Richtungen verlaufen. Wenn es an einer Kreuzung zu einem Unfall kommt, kann dieser von Verkehr aus jeder Richtung verursacht worden sein – manchmal gar von Verkehr aus allen Richtungen gleichzeitig. Ähnliches gilt für eine Schwarze Frau, die an einer „Kreuzung“ verletzt wird; die Ursache könnte sowohl sexistische als auch rassistische Diskriminierung sein.“ (K. Crenshaw zit. n. GWI)

Bild 1, Alternativtext: eine Straßenkreuzung

Als „travelling concept“, also dynamisches Konzept, wurde Intersektionalität im interdisziplinären Dialog immer wieder weiterentwickelt, verändert und angepasst. So fassen wir für uns seine Bedeutung zusammen:

Der Begriff „Intersektionalität“ ist ein Versuch, die komplexe gesellschaftliche Realität zu beschreiben, in der unterschiedliche Machtverhältnisse und Diskriminierungsmechanismen nicht unabhängig voneinander, sondern zusammen wirken. Sie addieren sich dabei nicht einfach nur, sondern nehmen in ihrem Zusammenspiel je nach Konstellation spezifische Formen an, beziehen sich auf- und verstärken einander und haben für unterschiedliche Menschen unterschiedliche Konsequenzen. Eine intersektionale Perspektive hilft uns sowohl dabei, die Spezifität individueller Lebensrealitäten und Identitäten zu verstehen als auch strukturelle Muster zu identifizieren.

Bild 2, Alternativtext: ein buntes, fraktalartiges Muster

Beispiele

Konkret lassen sich mit einer intersektionalen Analyse folgende Prozesse nachvollziehen:

Menschenfeindliche Ideologien begünstigen und verstärken sich gegenseitig.

Das heißt, wer rassistische Einstellungen vertritt, vertritt mit höherer Wahrscheinlichkeit auch sexistische, queer-feindliche oder antisemitische Einstellungen. Dies wird z.B. in der verschwörungsideologischen Erzählung vom „Großen Austausch“ sichtbar: Hier werden rassistische und antisemitische Narrative verknüpft. Es ist also auch für die Analyse von Ideologien und die Prävention von Gewalttaten wichtig, solche Mechanismen zu verstehen.

Menschenfeindliche Ideologien beziehen sich aufeinander.

Rassistische Vorstellungen von „der“ muslimischen Frau beziehen sich auf sexistische Geschlechterzuschreibungen, der antimuslimische Rassismus funktioniert hier nicht ohne den Sexismus. In medialen Repräsentationen muslimischer Frauen* begegnen uns z.B. häufig stereotype Darstellungen der „hilflosen“ und „unterdrückten“ Frau* – Sexismus wird hier zugleich reproduziert und dem „Anderen“ zugeschrieben.

Menschen sind unterschiedlich von Diskriminierung betroffen und profitieren unterschiedlich von Privilegierung.

Transidente Frauen* machen mitunter andere Diskriminierungserfahrungen als transidente Männer. So zeigte eine niederländische Studie (Geijtenbeek  &  Plug,  2015) die Auswirkungen von Sexismus am Arbeitsmarkt auf Trans*personen: Trans*Frauen verdienten nach einer (körperlichen) Transition weniger, trans*Männer mehr. Emilia Roig schrieb hierzu auch passend:

 „Intersektionalität (…) bedeutet im Grunde: Diskriminierung innerhalb von Diskriminierung bekämpfen, Ungleichheiten innerhalb von Ungleichheiten sichtbar machen, und Minderheiten innerhalb von Minderheiten empowern. In anderen Worten: Leave no one behind.“ (Emilia Roig: Why we matter – Das Ende der Unterdrückung, S. 16)

Identitäten sind vielschichtig und facettenreich.

Niemand ist nur Rom*ni, nur weiß oder nur weiblich*.  Wir alle sind viele Dinge gleichzeitig und uns auf einen Aspekt unserer Identität zu reduzieren, wird unserer Lebensrealität nicht gerecht. Manche Menschen werden aber immerzu defizitorientiert auf ihren „fehlenden“ deutschen Pass („Ausländer“), auf ihre negativ konnotierte Religiosität („Muslime“) oder als normabweichend auf ihre vermeintlichen Fähigkeiten („Be_hinderte“) reduziert und damit konstruierten Gruppen zugeordnet.

Nicht zuletzt hilft uns eine intersektionale Perspektive dabei, Bündnisse zu bilden, weil keine einzelne Gruppe unsere Individualität abbilden kann und weil wir zusammen stärker sind.

Bild 3, Bildbeschreibung: Freunde und Familienangehörige der Ermordeten in Hanau gedenken gemeinsam mit Überlebenden des Anschlags in Halle beim „Festival of Resilience“. [zusätzlicher Alternativtext nötig?]

Quellen und Literatur

Geijtenbeek,  L.,  &  Plug,  E.  (2015):  Is  there  a  penalty  for  becoming  a  woman?  Is  there  a  premium  for  becoming  a  man?  Evidence  from  a  sample  of  transsexual  workers.  IZA  Discussion  Paper  Nr.  9077.  Bonn:  Forschungsinstitut  für  die  Zukunft der Arbeit.

Gunda-Werner-Institut (o.J.): https://www.gwi-boell.de/de/intersektionalitaet (letzter Aufruf: 18.05.21)

Emilia Roig (2021): Why we matter – Das Ende der Unterdrückung.

Rosa-Luxemburg-Stiftung (2016): Intersektionalität. BILDUNGSMATERIALIEN Nr. 4. Berlin: Rosa-Luxemburg-Stiftung.